Dienstag, 23. September 2014

Rest in … pieces?


Achtung – der folgende Text enthält für die Mitspieler der NlC-Vampire-Live-Runden Spoiler und Zusatzinformationen. Wer ihn dennoch liest, tut dies auf eigene Verantwortung.

Am Wochenende ist einer meiner Charaktere gestorben. Ungefähr zwei Jahre Spiel sind damit zu Ende, in den ich geglaubt hatte, den Charakter soweit Profil gegeben zu haben, dass man seine Entscheidungen nachvollziehen kann.
Dem ist offensichtlich nicht so.

Ich kann nicht behaupten, dass die Szene und das Wochenende an sich nicht lohnend gewesen wären. Ein bitterer Nachgeschmack bleibt dennoch. Wie einer der Spielleiter zu mir sagte: Du wirst eine Menge darüber nachdenken, was falsch gelaufen ist.
So unrecht hat er da nicht. Allerdings gibt es einige Punkte, von denen ich weiß, dass sie nicht meinen Erwartungen entsprechen. Für diejenigen, die wissen wollen, was ich gespielt habe, und wo meine Kritikpunkte liegen, aber auch für mich selbst, habe ich die Sache einmal zusammengestellt.

Claire hat als Charakter irgendwann um 2010 angefangen. Es war ein sogenannter One-Shot, ein Charakter, der nur einmal oder sehr selten auftritt und im Grunde keine besondere Rolle im Weltgefüge spielt. Im Grunde hatte ich auch nicht mehr an sie gedacht.
Dann kam es in einem Gespräch zu dem Punkt, dass ich einen neuen Charakter erhalten sollte. Ich greife in dieser Hinsicht ungemein gern auf Oneshots zurück, bieten diese doch eine Grundlage, auf der man aufbauen kann. So wurde Claire zu einem „richtigen“ Charakter. Als Oneshot ohne Werte stieg sie über ein paar Umwege auf zu einer Brujah mit Geschichte, Profil und einigem Machtpotential.

Claire war als Brujah ein Dickkopf, hatte ein grundlegendes Aggressionspotential, eingedämmt durch einen komplexen Kodex von Verhaltensregeln aus dem Bushido, Satanismus und dergleichen mehr. Nach außen hin öfter ruhig, nach innen hin in vielen Fällen genervt oder unter hohem Erfolgsdruck. Mit übersteigerten Ehrbegriffen versehen, griff sie in vielen Fällen nicht durch – der freie Wille als Maxime.

Das Ende begann mit einer Verknüpfung. Verknüpft wurden Ismail Suredin, ein Ventrue mit militaristischem Hintergrund, die „Order“ und Claire: Als Söldner angeworben begab sie sich in einen Krieg, wurde gefangen genommen und konnte schließlich flüchten. Claire kämpfte die nächsten 20 Jahre mit den Folgen dieser Gefangennahme, bis sie wieder in die Gesellschaft zurückkehrte – ernster, kälter und finsterer als zuvor.
Diese Episode definierte in vielerlei Hinsicht ihre Entscheidungen und Ansichten. Der Camarilla, dem politischen System, verpflichtet, folgte sie ihren eigenen Wegen der Ehre und verärgerte damit in vielen Fällen ihre Umgebung. Trotzdem lernten sie ein paar Personen schätzen, insbesondere, nachdem sie ihre Persönlichkeit begannen zu verstehen.

Auf einer Hofhaltung in Hamburg indes passierte es jedoch, dass sich der totgeglaubte Suredin und Claire wieder begegneten. In der Folge gruppierte man sie wieder in die Order ein – überfordert von der Situation und konfrontiert mit ihren Erinnerungen widersprach sie nicht sofort.
Stattdessen erhielt sie einen Ausbilder, der bis auf eine Unterlassung und seinen eigenen Schutz nichts beizutragen schien, und eine Degradierung in den untersten Rang. Für einen Charakter, der sich gegen Folter und Terror über Monate hinweg gewehrt hatte, war das ein schwerer Schlag gegen das Ego und seine Begrifflichkeiten.

In der Folge wehrte sie sich jedoch. Die zweifelhafte Natur ihres Ausbilders, die politische Entwicklung und weitere Faktoren verschärften den Konflikt zwischen ihren Ansichten und den wenigen ihr bekannten Richtlinien der Order. Ihr Einwirken war dezent, aber brachte immer mehr Leute auf die Spur der Order, teils ohne zu wissen, dass Claire dazugehörte.

Bis zu dem Tag, an dem der Konflikt derartige Ausmaße annahm, dass es Zeit zum Handeln war. Sie schrieb eine militärische Anzeige, legte ihre Beobachtungen dar – und bekam prompt die Rechnung dafür.

Zu einem Treffen gezwungen, eingekesselt in Ordermitglieder konfrontierte man sie mit Allgemeinvorwürfen und Feststellungen, zu denen ihr der Bezug vollkommen fehlte. Bereits nach diesem Nervenkrieg war sie gereizt genug, dass man ihr nicht zuhören wollte, dass sie auch die verhandelnde Dame nicht sonderlich höflich behandelte. Dabei stellte sich heraus, dass man zwar ihre Anzeige angenommen, nicht aber gelesen hatte. Dementsprechend wurde dieser Punkt ebenfalls behandelt.
Die Raserei war nicht weit entfernt. Und sie brach durch, als man sie vom Gehen abhalten wollte. Gegriffen, gefesselt werden, rief Erinnerungen wach, die nichts weiter auslösten als einen reinen Angriffsinstinkt. Mitnehmen, töten, was zu töten ist.

Trotz ihres Potentials gelang es den Anwesenden sie festzuhalten, ihrem Kampf etwas entgegen zu setzen. Nach einigen Minuten hatten sie ein Einsehen, ließen sie los. Doch im Grunde war das Los gefallen – man würde ihr Ehrgefühl, ihre Treue und ihren Mut hier nicht schätzen, sondern brechen und zugrunde richten.
Das bewies auch der Vertrag, der ihr nun zugeschoben wurde. Mit Blut solle er unterschrieben werden. Schon das Überfliegen brachte Punkte ans Tageslicht, die sie so nicht akzeptieren würde oder konnte. Würde sie es nicht unterschreiben, würde man sie töten.

Siegen oder Sterben. Aut Vincere, Aut Mori.

Sie wählte den Tod.
Mit einem Kotau kniete sie sich nieder – einer der Orderleute entriss ihr ihre Seele.
Es war ein Niedergang, den sie für ihren eigenen Glauben und ihre eigenen Maßstäbe zu erleiden bereit war: Ganz wie ein Krieger.

Warum aber war diese Szene ein Problem?

Was hier nicht erwähnt ist, ist beispielsweise die Vielfalt der Pläne und Unternehmungen, die möglich sind, einen Charakter in eine bestimmte Situation zu bringen. Es war bekannt, in welchem Bereich sich der Charakter bewegt und abzusehen, dass er Widerstand leisten würde. Ebenso wäre auf Nachfrage immens leicht feststellbar gewesen, dass der als „blaues Auge“ bezeichnete Vertrag zu Widerstand führen musste.
Ein Charakter, der sich unter Folter über Monate an seinen Statuten festgehalten hat und es gewohnt ist, dem Tod ins Auge zu blicken, wird nicht wegen einer solchen Lappalie nachgeben.

Nicht nur die Tatsache, dass am selben Tag ein weiteres Spiel stattfand – an dem der Charakter hätte teilnehmen sollen und für den kein Ersatz vorhanden war – auch hatte ich nachgefragt, inwieweit ich eine Fairkill-Warnung (die Ankündigung des Charaktertodes im Falle, dass konsequent auf der bestehenden Linie weitergespielt wird) zu erwarten hätte. Nein, wurde mir erklärt, das ginge schon alles in Ordnung.
Während der Szene wurden drei Fairkill-Warnungen ausgesprochen, die nicht nötig gewesen wären, weil sie in den Aussagen der Charaktere impliziert waren. Es war offensichtlich, wie die Szene enden würde. Ich hatte bereits zu diesem Moment keine Gnade für Claire erwartet und ich war nicht bereit, den Charakter auf eine Art zu beugen, die mir nicht plausibel erschien – ich hatte gemeint, das wüssten die Beteiligten.

Eine der goldenen Regeln des Vampire ist es, dem Charakter lieber das Leben zur Hölle zu machen. Nicht die inneren Umstände zu ändern, sondern die äußeren solange zu verdrehen bis der Charakter keine andere Chance mehr hat als klein beizugeben. Ahnen, die mächtigsten Charaktere dieser Spielwelt, sind in der Lage dazu. Umso größer der Triumph für den machtausübenden Charakter – langfristig bringt ihm die Demütigung mehr ein als ein Toter. Ein Toter kann keine Dienste mehr erfüllen oder Dinge herumerzählen.

Was ebenfalls nicht erwähnt ist, ist, dass ungefähr 15 Seiten Brief vorlagen. Ich hatte mich 2 Tage vorher mit den Begrifflichkeiten auseinandergesetzt, die für einen modernen Menschen irreführend sind – eine „Anzeige“ beispielsweise bedeutet nicht, eine Person anzuschwärzen, sondern einen dringlich erscheinenden Sachverhalt, der nicht an den nächsten Vorgesetzten gehen kann, direkt an höhere Instanzen zu geben. Mag sein, dass das in einigen Fällen ziemlich genau dasselbe ist, aber gibt es militärhistorisch gesehen eine Form dafür. Es hat mich ungefähr einen kompletten Tag gekostet, eine sachliche Aussage daraus zu machen. Sie enthielt neben Vorschlägen, damit umzugehen (und im militärischen Sinne sind Vorschläge Vorschläge, keine Forderungen) noch weitere Hinweise auf die Folgen.

Wurden diese Briefe überhaupt zur Kenntnis genommen? Ich als Spieler konnte nicht darauf zählen, ganz im Gegenteil.
Offiziell wurde mir gesagt „das verändert die Szene noch mal sehr!“ – davon war nichts zu spüren, außer dass der Angriff seitens der Orderdarsteller umso nachdrücklicher ausfiel.

Die Folgen, die diese Briefe ankündigten, darf ich allerdings aktuell selbst rausgeben. Der Tod des Charakters zieht eine Flut von Schreiben nach sich, die in vielerlei Hinsicht dazu führen können, dass etwas in Bewegung gerät. Ob das der Fall sein wird, wird sich zeigen.
Edit: Zu meiner Enttäuschung wurde auch diese Aktion SL-seitig gestoppt, bevor sie greifen konnte.

Am Ende bleibt jedoch trotz allem „Oh“ und „Ah“ ein fader Nachgeschmack des „Das hätte alles gar nicht unbedingt sein müssen.“

In Spielweltdaten:
Claire Friedrichs,
geboren am 06.06.1923;
gestorben am 06.06.1951, erschaffen als Mitglied des Clans der Gelehrten;
vernichtet am 21.09.2014 durch die Order.
Möge ihre Seele vergangen sein.


Hier noch die Todesanzeige, die eine Spielerin vor Kurzem liebevoll gestaltet hat:


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