Montag, 13. Mai 2013

Zwang, gesellschaftlicher

Gerade im Hinblick auf die Beschneidungsdiskussionen und verschiedene Themen über Marktwirtschaft, Sozial-Politik und dergleichen fiel mir ein Kernthema auf: Gesellschaftlicher Zwang. Oder auch Zwang, der aus erlernten Verhaltensweisen entsteht.

Nun sind wir ja soziale Wesen. Man verzeihe mir den Ausdruck, aber eine gewisse Schwarmintelligenz ist uns ebenso zu eigen wie ein gewisses Schwarmverhalten. Das ist - sachlich betrachtet - ja auch eigentlich gar nicht schlecht. Immerhin hat uns das einiges an Weiterentwicklungen eingetragen, doch letzten Endes auch Nachteile beschert.
Und ich rede hier nicht von Nachteile á la "Wir müssen Zeit für andere aufbringen." Für mich ist das auch kein Nachteil, auch wenn mancher das anders sieht. Tatsächlich - es gibt Leute, die es schlecht finden, für andere da sein zu können oder zu wollen. Vielmehr hat sich eine Kultur entwickelt - was auch nicht schlecht ist - aber inzwischen ist es keine Kultur des Fortschritts und des Zusammenlebens mehr. Aus meiner Sicht ist es eine Kultur des gesellschaftlichen Zwanges.


Gerade im Hinblick auf die Sache mit der Beschneidung kommt man sehr schnell darauf, dass es eine Tradition und eine schon beinahe als Vorschrift zu betrachtende Thematik gibt, die dem Ganzen zugrundeliegt - fernab von jeglicher Religion.

Das Prinzip ist ein ganz einfaches: Wer von der Norm abweicht, hat verloren. Man verliert auf verschiedene Arten, aber Verlust sind für die A-Normalen immer dabei. Wer sich in die Gefahr bringt, nicht anerkannt oder sogar ausgestoßen zu werden, nur weil er ein bestimmtes Merkmal nicht trägt, muss sich oft dem Gruppenzwang beugen. Alles andere führt zu Druck.
Im Hinblick auf die Beschneidung sind es, wie Tante Jay in einem kleinen Diskurs - oder wohl eher Vorlesung, sie hat da sehr viel Wissen und Quellen, ihr sei's gedankt - richtig feststellte, nicht allein die Regel aus der Religion oder die Verpflichtung, sondern auch die Familie. Zumindest in der traditionellen Weise, wie eine jüdische Familie Festtage und dergleichen begeht, besteht hier schon einmal der Erwartungsdruck, sich den Traditionen zu beugen. Diese stille Druck wird zu einem offenen, deutlichen, spätestens, wenn sich - um bei dem Beispiel zu bleiben - die Eltern weigern, ihr Kind beschneiden zu lassen.

Dieser Druck existiert allerdings nicht nur hier. Die Beschneidung ist eines der aktuellsten Beispiele, die insbesondere auch noch eine Körperverletzung beinhalten. Christen sind da nicht besser. Egal, in welche Religion man sich begibt (Ausnahmen bestätigen die Regel), man wird stets auf solche Traditionsmotive stoßen.

Ungeachtet jeder Religion ist aber auch die "normale" Gesellschaft nicht wirklich besser oder freier. Denn wer auch in unserer sogenannten modernen Gesellschaft aus grundsätzlichen Normen ausbricht oder fällt, hat das gleiche Problem. Der Unterschied besteht nur darin, dass es für viele Normbrüche bereits Normen gibt, in die einsortiert werden kann. So ist der Punk oder Goth, der mit seiner Kleidung eine gewisse Unabhängigkeit demonstrieren will, doch wieder Teil einer Subgesellschaft.

Wie ist es aber mit einem Behinderten? Sagen wir, mit einem Geburtsfehler, wie verformte Hände.
Ich erlebe vielmals - auch selbst -, dass man dem etwas hilflos gegenübersteht. Natürlich, man weiß, man soll nicht starren oder dergleichen. Selbst ich komme aber nicht umhin, zweimal hinzuschauen. Und vor allem die Sache mit dem Hilfe anbieten ist problematisch. Viele kommen vor lauter Starren gar nicht auf den Gedanken, dass der Mann oder die Frau vielleicht eine Beeinträchtigung hat, aber dennoch noch immer ein menschliches Wesen ist, aller wahrscheinlichkeit nach ebenso intelligent und handlungsfähig wie man selbst.
Ich wurde vor einigen Tagen beim Einkaufen von einem Mann im Rollstuhl gefragt, ob ich ihm etwas aus dem Regal geben könnte. Ja, ich gebe zu, ich habe gestutzt. Vielleicht habe ich auch sehr viel Routine damit, spontan auf unbekannte Situationen zu reagieren, aber dennoch - des Zögerns konnte ich mich nicht verwehren.

Wir werden von Kindheit an dazu angeleitet in Kategorien zu denken. Diese Kategorien, zusammen mit undurchdachten und unreflektierten Normen bilden unseren eigenen Gesellschaftszwang.
Ob Smoking, Beschneidung, Arbeitsverhalten oder Lob - wir sind umgeben von Floskeln und Richtlinien.

Verstehen kann man das erst, wenn man sich erlaubt, darüber nachzudenken. Das braucht Zeit und Ruhe, die man heutzutage häufig nicht hat - oder man aus der Norm herausgefallen ist. Ich habe lange gebraucht, um dazu zu stehen, dass ich nicht der Norm entspreche. Es gefällt mir auch heute noch nicht, ganz im Gegenteil. Allerdings macht es mich inzwischen trauriger, die Leben und Nöte der anderen zu betrachten, die nicht sehen, dass sie sich in ihren Zwängen verheddert haben.

*Ergänzung:
Ich weiß ebenso, dass Kostüme und Verhaltensweisen den Leuten richtiggehend Angst machen können. Gerade im Bezug auf Mittelaltermärkte und LARP erlebt man es immer wieder, das auch "schöne" Kostüme/Gewandungen einen verstörenden Eindruck auf die Umwelt haben können. Da es auch schon vorgekommen ist, dass wir in der Öffentlichkeit gespielt haben - auch im Bezug auf die Mittelaltermärkte, auf denen ebenfalls leichte Rollenspielanklänge bestehen können - fällt es häufig auf. Die Menschen reagieren häufig mit einer Art Gaffer-Verhalten. Sie schauen, nehmen Abstand. Selbst wenn eine Szene brutal ausfällt, werden sie nicht eingreifen. Warum nicht?
Es ist simpel: Es wird uns von Kindheit an abgewöhnt uns einzumischen oder einzugreifen. Unsere Angst vor Eskalation ist derart geschührt, dass manche Training und Gewöhnung brauchen, um diese Grenzen zu überwinden.

Floskeln, Richtlinien, das alles blockt die verstandesgemäß richtige Entscheidung. Natürlich müssen Regeln existieren, aber letzten Endes muss es einem gesunden Menschenverstand auch möglich sein, sie zu brechen oder zu beugen, wenn es (moralisch?) richtig ist.

Genug der Gesellschaftskritik.
Gute Nacht. ;)

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