Montag, 13. Mai 2013

Beschneidungsdiskussion - ein Jahr später

-> Für die, die das schon gelesen haben: Kleines Update, denn ich habe noch etwas ergänzt. Am Ende. Ja, da ganz unten. ;)


Ein Jahr ist vergangen - die Zeit bleibt nicht stehen. Erinnert sich noch irgendwer an dieses Lied?
Die Zeit bleibt nicht stehen. Eine schöne Feststellung.
Die Zeit bleibt nicht stehen - außer bei einigen Leuten.

Der Beschluss, dass Beschneidungen Körperverletzungen sind (Google zeigts: Suchergebnis für Gericht, Körperverletzung, Beschneidung), ist nun fast ein Jahr her, und die Diskussion läuft weiterhin.

Ich empfinde es als unglaublich faszinierend, wie viele Argumente hin und her geworfen werden. Eigentlich ist man sich nahezu einig, dass die Beschneidung Risiken birgt, die ihren Nutzen nicht aufwiegen. Ähnlich sieht es bei Fragen nach den erlittenen Schmerzen aus.

Der einzig, wirklich strittige, Punkt scheint mir zu sein:
Ist es richtig, religiöse Bräuche über das Allgemeinwohl eines Wesens zu setzen, das noch nicht selbst entscheiden kann?

Das Beispiel mag absurd wirken, aber letzten Endes liegt es gleich:
Nehmen wir mal an, ich wäre Mitglied einer religiösen Organisation. Diese Organisation geht davon aus, dass ein Mensch nur eine Hülle ist und deswegen Verletzungen oder dergleichen nichts ausmachen. Genau genommen sind Schmerzen eine Prüfung und genau deswegen wird es nach mehreren Jahrzehnten der Existenz dieser Religion als notwendig erachtet, dass solche Prüfungen durchstanden werden.
Ich wäre dieser Religion beigetreten, nachdem ich volljährig war, so dass keine Frage danach besteht, ob ich bestimmte Riten mitmachen darf.
Einer dieser Riten ist... sagen wir mal... sich ein Glied des kleinen Fingers abhacken zu lassen. Möglichst, kurz nachdem man in diese Gemeinschaft eingetreten ist. Gut, jeder Mediziner wäre entsetzt, aber abhacken lassen kann man ja auch von anderen. Dann geht man zum Arzt und lässt die Wunde versorgen.
Nehmen wir weiter an, ich wäre schwanger geworden und hätte nun ein Neugeborenes. Die Gesetze meiner Religion verlangten nun, dass dem Kind als erste Prüfung ein Fingerglied amputiert würde. Natürlich ohne Betäubung.

Wer hackt es ab?

Du?
Oder du da drüben?
Vielleicht sollte ich einen Arzt fragen, der macht das bestimmt gern. (Ironie, sollte klar sein, oder?)

Oder würde man nicht viel lieber dem Kind die Freiheit lassen, bis es selbst entscheiden kann?
Egal, ob es um eine Vorhaut, einen kleinen Finger oder sonst irgendwas geht - genauso egal sind in dieser Hinsicht die religiösen Ansichten*. So lange ein Wesen nicht selbst entscheiden kann, ist die Sache nicht in Ordnung.

(* Ehe es ein großes Hallo gibt diesbezüglich: Ich respektiere den Glauben anderer Leute, so lange ein jeder keinen anderen damit beeinträchtigt. Wenn eine Glaubensgemeinschaft darauf aus wäre, keine Kleidung zu tragen: Soll sie. Das gleiche gilt z.B. für Konvertiten des Judentums. Nur wenn jemand zu mir käme und mir vorschreiben wollte, ich müsse eine kleine Sunna vornehmen lassen, um von ihm als Mensch anerkannt zu werden, würde ich ihm deutlich einen Vogel zeigen.)

Das Beispiel vom Robin (Beitrag bei Robins Urban Live Stories) mit dem Ohrlochstechen passt sehr gut dazu. Und auch Tante Jay ("Leute, wir müssen reden") schreibt sehr eindringlich hierzu.

Ich kann nur abschließend die Bitte äußern:
Leute, lasst euren Glauben und eure Ansichten beiseite bei solchen Entscheidungen. Religion ist wichtig, aber wenn sie nur in Ausnahmefällen lebensbedrohliche oder medizinisch unnütze Eingriffe beinhaltet, dann lasst die Person selbst entscheiden.

 Eine Ergänzung nach fortgeschrittener Recherche für weitere Posts:
Wie auch Tante Jay mir im Gespräch sagte: Viele der Kinder, die nach einer Beschneidung sterben, sterben offiziell nicht "an", sondern "nach" der Beschneidung.
Woher dieses Leugnen?
Vielleicht liegt es daran, dass auch den Juden eine Vorschrift gegeben ist, die da lautet "Du sollst nicht töten."
Das klingt bissig und bösartig, aber da der Beschneider eine wichtige Person ist, habe ich den Eindruck, dass sich niemand, auch der Arzt nicht, die Schuld zuschreiben lassen will. Das ist verständlich - wie wollte auch ein moralisch gefestigter Mensch solch eine Sünde für sich rechtfertigen. Dass nämlich ein Kind aufgrund der Beschneidung stirbt, ist mehr als ein Kunstfehler bei einem gerechtfertigten Eingriff, ebenso wie bei einem kosmetischen. Nur leider können in gewisser Weise weder die Eltern noch die Beschneider etwas dafür.

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