Eine kleine Geschichte über das Barfußlaufen oder "Geduld zahlt sich aus"
Der erste Schritt nach draußen vermittelte Kühle von den Steinfliesen des Ganges. Es war rauer Stein, abgenutzt von vielen Schritten. Er war leicht gebogen, so als hätte er in den Jahren sich verformt wie Ton unter dem sachten Druck des Meisters an der Scheibe. Rund, beinahe weich und trotzdem hart und kalt. Irgendwie untypisch, aber diese Steinstufe gehörte doch seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten zum Haus.
Der zweite Schritt war Wärme, draußen in der Sonne des Sommers. Asphalt glühte nur wenige Meter entfernt, über ihm flirrte die Hitze. Der Stein war warm, aber nicht heiß. Glattgeschmirgelt, ziemlich frisch verlegt und so gemütlich warm, das man sich hätte auf ihn legen wollen, wäre dort nicht das tägliche Gewühl der Menschen entlanggewalzt.
Ein paar Schritte weiter war Hitze. Schwarzer Teer, in dem die Steine schon beinahe lose schwammen, weich und klebrig drückte er sich zwischen die Zehen. Jeder Schritt hinterließ Abdrücke, die sich träge wieder zurückformten. Sie würden ein paar Minuten später nicht mehr zu sehen sein, auch wenn der Augenblick einen anderen Eindruck hinterließ.
Die Direktheit, mit der man all das zu erfassen mochte, erstaunte mich. Sie war Faszination und Überraschung zugleich. Ich würde weiter so laufen, Stunde um Stunde, Tag um Tag, beschloss ich.
Viele Schritte weiter war Schmerz. Es war nicht einmal eine Stunde, noch nicht einmal eine halbe. Rund fünfhundert Meter, nur die Ecke weit weg, ein kleiner Spaziergang. Die Sohlen brannten. Hitze kribbelte in ihnen und hinterließ das Gefühl, die Haut wolle sich abschälen. Jeder Versuch, durch eine andere Belastung der Füße auszuweichen, war sinnlos. Jedes Steinchen war Hindernis und Todesqual zugleich.
Ärgerlich und frustriert zog ich die Schuhe wieder an. Niemals wieder würde ich so weit barfuß laufen.
Die Füße schmerzten drei Tage lang. Drei Tage lang humpelte ich den weich gepolsterten Sandalen, als seien es Stachelmatten. Dann verlor sich der Schmerz und sehnsüchtig sah ich nach draußen. Dort flirrte noch immer die warme Luft über der Straße.
Wieder hinaus! Und wieder bezahlte ich dafür.
Das ging den Sommer lang - bis ich mitten in der Stadt stand, kilometerweit gelaufen war und noch immer keinen Schmerz verspürte.
Nun sitze ich hier. Es sind ungefähr vier oder auch fünf Jahre vergangen, seitdem ich die ersten Schritte dort draußen machte und so kläglich zurückkehrte. Inzwischen sind geschlossene Schuhe kein Thema mehr. Der Winter hat draußen Eis und Schnee verbreitet und einzig die Kälte ist es, vor der die Füße ein wenig geschützt werden müssen.
Den Sommer lang ging ich immer wieder hinaus und lernte, dass Schuhe die Füße täuschen. Sie täuschen über die Härte und Unnachgiebigkeit der Umwelt hinweg. Sie packen unsere Füße in Watte, Körperteile, die sehr viel mehr auszuhalten im Stande sind als wir ihnen jemals zutrauen. Doch wie ein Körperteil verkümmert, das derart eingepackt ist, so verkümmern auch unsere Füße, werden weiß, weich und empfindlich. Wir nehmen ihnen jede Chance ihrer Aufgabe nachzukommen, für die sie viele Jahrhunderte und Jahrtausende ausgebildet und geformt wurden. Stattdessen verformen wir sie selbst. Wir zwingen sie in Korsetts und unnatürliche Haltungen, und fragen uns danach: Warum schmerzt der Fuß? Warum tut mir das Kreuz so weh? Warum wächst der Fuß irgendwie schief und bildet Knochen, wo eigentlich keiner gebraucht wird?
Weil wir uns noch immer anpassen und diese Anspassung scheitert, sobald unnatürliche und für die Natur abweggige Situationen auftauchen. Wir sind einfach nicht dafür gemacht, auf hohen Absätzen und mit maximaler Federung zu laufen. Genausowenig wie maximale Schonung zu erfahren.
Wir sind Jäger und Sammler, noch immer. Auch wenn wir das nicht wahrhaben wollen.
Nur ist der Weg zurück genauso lang wie hierher. Vom ersten Schritt an dürfen wir niemals vergessen, dass Erfahrungen ihre Zeit brauchen. Und deswegen, nur deswegen, brauchen wir Geduld auf unserer Wegstrecke. Es dauert nicht ganz so lange, zurückzufinden. Vielleicht sind es ein paar Tage, Wochen oder Monate. Aber diese Zeit macht den Unterschied zwischen Schmerz und Spaß.
Für solche Dinge:
Lass dir Zeit.
Für die ersten Schritte.
Für die erste Wanderung.
Für den ersten Tag.
Für die erste Woche, den ersten Monat, das erste Jahr.
Alles braucht seine Zeit.
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