Dienstag, 10. April 2018

In perfekter Harmonie

Update vom 09.05.2018 mit ein paar Ergänzungen :)

In letzter Zeit hab ich wieder einmal Komplimente gesammelt.
"Wow, wie kriegst du die Linien so sauber hin?"

Und Tritte in den Allerwertesten.
"Wie?! 40 Euro? Vielleicht 25."

Mehr darüber gibts nach dem Strich, denn heute solls um Grundlagen des Perfektionismus und das Ego des Künstlers gehen. Achtung, es wird nachdenklich, aber ich bemüh mich um ein bisschen Humor. ;)

Künstlerseelen streben häufig nach Perfektion und vollständiger Entfaltung ihres Ausdrucks. Genauso oft sind sie gehemmt und wenig selbstbewusst, wenn es um ihre Produkte geht. Wir wollen gelobt werden, mit voller Begeisterung! Ich bin eins von den Exemplaren, dass zwar gelernt hat, seine Arbeiten wenigstens so ein bisschen zu verteidigen, aber dem jedes Kompliment ungefähr genauso nahe geht wie Kritik. Beides ist hilfreich - kein Frage. Aber trotzdem lernt man dann doch Prioritäten zu setzen.

Was hab ich also in den letzten Jahren gelernt?


1. Perfektion ist was für Anfänger.
Klar kann ich versuchen, eine Naht, eine Linie, eine Skizze immer auf den Punkt genau zu treffen. Vielleicht schaffe ich das sogar. Aber dann habe ich mich darauf so versteift, dass der Rest - der, der die eigentliche Leichtigkeit ausmacht - völlig den Bach runtergeht.
Wir sind Menschen, die etwas schaffen, das wahrscheinlich vor uns weniger oder gar keiner in dieser Form gemacht hat. Wir sind keine Maschinen. Und es gibt Tage, an denen sehen meine Nähte aus als säße ich das erste Mal an der Nähmaschine.
Who cares?
Na gut, manchmal ärgere ich mich schon ;)


2. Manchmal ist es einfach nicht dein Tag.
Ich erinnere mich gut an diese Momente beim Bannermalen. Die Malhand zittert, als wäre ich gestern hunderzehn geworden, die Konzentrationsfähigkeit entspricht der eines Kaninchens... und warte mal, wie lange starre ich jetzt schon dieses Stoffstück an?
Manchmal hilft eine Pause von fünf Minuten, manchmal ein halbstündiges Nickerchen - und manchmal tritt man den Tag einfach in die Tonne und versucht es am nächsten Morgen nochmal. Problematisch ist das - definitiv - bei zeitkritischen Projekten, aber wenn es nicht geht, geht es nicht. Dann lieber an einem Mein-Tag Nachtschichten einlegen und mit Augenringen im Studentenformat den nächsten Morgen begrüßen.

Gilt übrigens genauso für's Wolle spinnen, für's Wiederkriegen von Dingen, selbst für Chefgespräche gibt es Tage, da sollte man einfach die Klappe halten. (Und nein, ich weiß auch oft nicht, wann dieser Zeitpunkt gekommen ist.)


3. Laien schauen nicht so genau hin.
Die krumme Naht am Saum, oh mein Gott, was habe ich Nerven gelassen über krumme Säume! Es schadet nichts, selbstkritisch an die Sache heranzugehen und festzustellen: Hey. Das - war kacke.
Das Bannermalen und auch das Fertigen von Mittelalterkostümen und Cosplayklamotten bringt einem bei: Wenn das Gesamtergebnis passt, wird sich keiner über die kleine Falte an der Schulter auslassen. Auch wenn sie dem Macher selbst graue Haare im Dutzend billiger verpasst.
Das gilt auch für Linien auf den Bannern. Ein paar dieser Linien habe ich angeschaut und gedacht "Himmel... hat das ein Sechsjähriger gepinselt?!" und neben dir steht der Beschenkte und staunt "Wow - die Linien sind aber exakt, wie machst du das?"
Ausnahme davon ist die folgende Erkenntnis:


4. Laien schauen manchmal genauer hin als du selber.
"Du sag mal, der Farbton da, das ist doch ein Türkis, oder? Also schon blau, aber es hat einen Türkisstich?"
Hilfe!
Die Aussage ist noch gar nicht so lange her. Das Interessante daran ist, dass es noch keinem bisher aufgefallen ist. Der Trick ist ein ganz einfacher: Man strecke ein zu dunkles Blau mit einem sehr hellen Türkisblau ("Karibik"), um eine eher brilliante Mischung zu bekommen. Sieht einfach besser aus als das reine Blau mit weiß vermischt. Ich vermute, dass die Empfindlichkeit auf UV-Licht mit dem Effekt zu tun hat.
Unter bestimmten Lichtbedingungen kommt der leichte Grünstich heraus und hinterlässt den Eindruck, dass etwas Türkis mit drin ist. Was ja auch stimmt. Man braucht ein sehr gutes Auge dafür. Und der gute Mann hatte - unerwartet - eben dieses.

Keine Katastrophe. Trotzdem steht die Künstlerseele dann dort und fragt sich, welche Gottheit sie verärgert hat um diese Art von Feedback zu provozieren.


5. Laien schauen manchmal genauer hin als du. Manchmal auch nicht. Nämlich dann, wenn du damit rechnest.
Da wird man gefragt: "Duuuuu, kannst du mir eine Malerei mit Motiv X auf Klamotte Y machen? Kriegst Kekse."
Gut, in den meisten Fällen kann man, in den allermeisten Fällen geht das auch gut. Ich hab mir zur Regel gemacht, bei solchen Bitten demjenigen den Fortschritt zu zeigen, auch mit dem Hinweis, er möge sich ansehen, ob die Vorzeichnung (soweit deutbar... zugegebenermaßen erkennt man ja Kreide auf weißem Stoff dann doch eher weniger...) denn auch so stimmt. Auch Verlaufsfotos schicke ich öfter mal rum - viele der hier im Blog geposteten Bilder gehen auf diese Praxis zurück.

Sehr, sehr, sehr oft bekomme ich ein freundliches Nicken, oft genug auch einen kleinen Begeisterungssturm...

... und bei Übergabe gelegentlich vor den Latz geknallt, dass man sich das anders vorgestellt hat.

Oder dass ein Motivteil aus dem Part "Ja, mach wie du denkst, dass es gut aussieht" nicht ganz ins Schema des Charakters passt. ("Also der Winkel da, der ist völlig falsch, das müsste... anders aussehen. Schau - das sieht auf dem Bild [miniwinzige Grafik, die sofort verpixelt beim größer ziehen] ganz anders aus!")
Oder ein Austausch von Details nicht die gewünschte Wirkung hat. ("Kannst du... also kannst du das nicht einfach übermalen? Ich will da doch lieber..." Klar, wenn du ein Brett aus Farbe möchtest, auch das kriegen wir hin...)
Oder ein Wappeneinzelteil in die falsche Richtung schaut. (Passiert schneller als man glaubt... Ups ^^' Ich hatte dir das gezeigt? Ja? ... Und waruuuuum... ??? Passiert einfach. Immer wieder.)
Oder dass das Batikmuster dann doch zu wild ist. ("Kannst du das nicht ein bisschen... naja... weniger Batik machen?" Klar, ich schneid dann mal eben die Teile raus und näh neue rein.)
Oder die kaum sichtbar dickere Linie das Schild dann doch zu weit raushebt. ("Also guck mal, der Schild ist doch ein Teil vom Ganzen, den kannst du doch nicht in den Vordergrund rücken." Und ob ich kann, wenn 90% vom Rest aus Zier bestehen!)
Oder das Banner zu klein ist. ("Also auf dem Foto sah das größer aus. Sicher, dass das ein Meter ist?" Das Maßband sagt, es sind sogar 102 Zentimeter!)
Das Banner zu groß ist. ("Also auf dem Foto passt das ja, aber so groß sollte das dann nicht werden. Sicher, dass das zwei Meter sind?" Naaa... vielleicht eher 1,97 Meter.)
Der Saum zu dick. ("Jetz guck doch mal, das ist voll die Wulst!" Ja, und ich habs dir vorher gesagt.)

Und überhaupt ist das alles voll nicht so, wie man es haben wollte.

Es hilft nur eins: Ruhig bleiben, freundlich lächeln, auf das Verlaufsfoto verweisen oder auch das metrische System und denjenigen von der Liste derjenigen streichen, für die man nochmal spätnachts Sachen fertig baut. Für eine Packung Kekse.

(Auf der anderen Seite hab ich erst gerade wieder erlebt, dass mich ein Auftraggeber drauf aufmerksam macht, dass er mir noch was schuldet. Was wiederum großartig ist. Insbesondere, wenn es eigentlich gar nicht so eine riesen Nummer war, sondern eins von den "üblichen" Dingern, die Spaß machen ;)


6. Manche kennen den Wert von Handarbeit - manche nicht.
Klar, im Internet bekommt man ein auf Polyester gedrucktes Banner ohne Grafiküberprüfung und zusätzlichen Render für rund 50 Euro den Quadratmeter. Teilweise zahlt man auch nur 30 Euro (pro Quadratmeter...).
Ich wurde mal gefragt, ob ich eins der großen Banner (2m x 1,50m, für Rechenfaule = 3m²) für nen Zwanni hergäbe. Wohl gemerkt kostete die Farbe darauf ungefähr genauso viel. Nicht einkalkuliert Stromkosten für den Stoff, Garn, Waschen und Bügeln, Wasser, Pinsel, ... und Zeitaufwand.
Macht man ja mal eben. ... Nicht. Also... ich sag mal nicht mehr. Beziehungsweise extrem selten und dann tendenziell für Leute, bei denen ich mich begeistern kann.

Vor Kurzem auf einem Flohmarkt gabs eine ähnliche Situation. Ein Kleid, hergestellt aus diversen Schals, angesetzt auf einem Leinentop zum Schnüren. Handarbeit, vom Schnitt bis zu den Schnürlöchern. Materialwert... na gut... vielleicht 15 Euro? Arbeitszeit oberhalb von zwei Wochen. Blutverlust durch die Nadeln nicht mitgerechnet.

Im Internet bezahlt man für sowas ähnliches, dann allerdings von der Stange und üblicherweise aus Indien, durchschnittlich 60 bis 70 Euro. Es war (unsichtbar) geflickt, und einmal getragen worden. Meine Preisvorstellung: 30 bis 40 Euro. Die Preisvorstellung der Käuferin: 25 Euro, lieber weniger, weil es ja kein professionelles Stück sei. Sagen wir es so: Wir sind nicht zu einem Geschäft gekommen. Es gibt Beleidigungen, die nehme ich hin, und es gibt welche, die ich nicht akzeptiere.

Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die einen simplen Wunsch äußern, ihn erfüllt bekommen und dann einen fast totknuddeln. Nicht, dass ich was gegen Knuddeln hätte ;)

(Zu dem Thema gibt es übrigens von TinyTreasures einen schönen Artikel: Preisgestaltung von Handgemachtem )


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