Montag, 24. September 2018

Flauschiger Fluff (oder: Wie man Kunstfell auswählt und bändigt)

Nachdem ich nun... 3 Wochen? 4? mit einem sehr flauschigen Mantel verbracht habe, und auch sonst wieder meine Erfahrungen mit Kunstfell erweitert habe, hier so ein paar Erfahrungen, Tipps und Ideen zur Verarbeitung von diesem Zeug.

Ich werd' versuchen, grob alle interessanten Aspekte abzudecken - wer noch was findet, das er/sie gerne dabei hätte: Einfach Bescheid geben :)
Erst einmal die Fell-Länge.
In meinem Fundus finden sich derzeit grob gesagt drei Längen von Kunstfell -
Ganz kurzes - länger als Samtfasern, aber trotzdem eben nicht länger als 1-2 Zentimeter
Mittlere Längen - 2-5 Zentimeter
Und Langfell - mit Spitzenlängen um die 10 Zentimeter.
Das deckt eigentlich alles ab, was einem im Normalfall unter die Nähmaschine kommen kann :)

Langfell neigt stets dazu, Zottelfell zu werden, und wirkt immer ein bisschen wild und chaotisch, während mittlere Längen eher einen edlen Charakter haben, weil sie echtem Tierfell in der Optik nahe kommen. Wollte man Echtfell wirklich realistisch imitieren, müsste man in vielen Fällen eigentlich das ganz kurze Kunstfell nehmen, und da kommen wir zum Thema Qualität. Kurze Felle haben meist nicht genug Fasern, als dass das Imitat funktioniert. Die wirklich teuren haben genug, aber der Nachteil ist offensichtlich ;)

Fast alle haben sie gemeint, dass sie einen sogenannten gewirkten Trägerstoff haben. Im Grunde ist es nichts anderes als ein feines Strickwerk, das die Fasern (also die Fusseln obendrauf) einklemmt. Da es aber gestrickt ist, ist ein Loch oder eine geschnittene Naht immer mit Vorsicht zu behandeln. Genau wie Strumpfhosen oder Pullover neigt der Trägerstoff nämlich zum Aufribbeln und muss daher sauber vernäht und möglichst mit einem Overlock geschlossen werden. N' Zickzackstich reicht aber im Hausgebrauch auch, um den Rand zu zaddeln und das Schlimmste zu verhindern.
Man sollte sich aber nie darauf verlassen, "dass das schon so geht", indem es verfilzt etc. Das Fell wird einem immer diesen Gefallen tun, wenn man es nicht gebrauchen kann - und es wird aufgehen, wo auch immer man es *nicht* will.

Die meisten, günstigeren Kunstfelle haben neben dem Zottelfaktor ein Problem: Man sieht den Trägerstoff entweder von Anfang an durch oder sehr bald, oft schon nach der ersten Wäsche.
Bei mir liegen derzeit zwei Extreme herum (bzw. lagen):

"Eisbär"


Das "Eisbärfell" - lt. Herstellerangaben 2-3 Zentimeter lang, hell cremefarben und mit einem weißen Trägerstoff. Die Fasern vom Fell sind glatt und fein, so dass sie dünner wirken als echtes Fell.

Das Fell ist dicht, und mit dicht ist wirklich dicht gemeint:
Nicht bloß, dass man beim Schneiden der Rückseite mit der bloßen Klinge nicht wirklich in die Verlegenheit kam, den Tisch zu treffen. Auch fiel das Fell - gekämmt oder ungekämmt - durchaus mal anderthalb Zentimeter über den Schnittrand nach außen, dahin gedrängt vom restlichen Fell auf der Fläche. Wollte man wissen, wo genau die Kante sich befindet, musste man erstmal unters Fell gucken!

Und die Tatsache, dass meine Finger hier mit auf dem Bild sind, ist kein Unfall. Damit ich den Trägerstoff zeigen konnte, musste ich das Fell mit Kraft auseinanderziehen.

Aus beiden Fellen, die ich hier zeige, sollte eine Art Hermelinbesatz werden, umso krasser ist der Unterschied am Ende.

"Dalmatiner"
Das zweite Fell wird als Hermelin oder Dalmatiner verkauft. Die Fellänge ist ähnlich der des Eisbärfells, nur dezent kürzer.
Das Dalmatinerfell hat ebenfalls einen weißen Trägerstoff, der mit schwarzen, eingearbeiteten Punkten unterbrochen ist. Auf denen sitzen dann die schwarzen Fasern.
Im Vergleich zum Eisbärfell sind die Fellfasern rau und unregelmäßig und auch um ein wesentliches lichter.
Man erkennt es auf dem Bild sehr gut - ich musste die Fellfasern nur leicht beiseite streichen, um den Trägerstoff sichtbar zu machen. Keine Notwendigkeit des Festhaltens.
Beim Schneiden der Rückseite mit der Klinge musste ich dementsprechend auch sehr aufpassen, um nicht den Tisch zu erwischen.

Normalerweise ist Fell schneiden mit der Schere unklug. Hier ist es aber gar kein Problem, weil die gekürzten Fasern einfach am Rest klebenbleiben und ganz einfach ausgekämmt werden können.
Der finanzielle Unterschied zwischen den beiden: Das Dalmatinerfell kostet pro Meter ungefähr ein Fünftel bis Viertel (je nach Anbieter) von dem, was das Eisbärfell ausmacht. Beim Eisbärfell war ich bei einer Bestellung von rund zwei Laufmetern im dreistelligen Bereich. Hat sich letzten Endes zwar gelohnt - mit dem Eisbärfell kann man Effekte erzielen, die mit dem Dalmatinerfell reine Illusion bleiben.

Aber man zahlt den Unterschied in der Qualität.
Das gilt auch für viele, günstige Langfelle - "billiges" Fell hat oft raue und ungleichmäßige Fasern, die sich miteinander verhaken und daher sehr stark zurechtgekämmt werden können. Gleichzeitig neigen sie dadurch, wie oben erwähnt, zum Zusammenfilzen.

Dementsprechend kann man mit dem billigeren Fell jedoch unkomplizierter arbeiten. Es lässt sich oft recht problemlos von der Fellkante wegkämmen, die bearbeitet oder genäht werden soll. Gleichzeitig werden Nähte, die nicht absolut rechts-auf-rechts genäht und bis zum letzten ausgekämmt werden, unschön sichtbar. Es braucht also ein wenig mehr Pflege und Sorgfalt, ein billiges Kunstfell gut aussehen zu lassen.

Apropos auskämmen...
Ich kann jedem, der mit Kunstfell in größerem Stil arbeitet, nur empfehlen, sich sowas hier zu kaufen:
Ja, es ist eine Hundebürste! ;)
Die feine Seite ist großartig, um Fell zu bewältigen, das sich durch den Schnitt gelöst hat.
Auf der anderen Seite ist eine weiche Bürste, mit der sich loses Fell einsammeln und teilweise auch lösen lässt. Dass Fell noch mit einem Endchen am Stoff hängt, anstatt im restlichen Haar zu kleben, passiert selten, kann aber unglaublich nervtötend sein. Genau dafür ist die Bürste sehr praktisch.
Insbesondere die Metallhäckchen sind ein wunderbares Werkzeug, um eingenähtes Fell zu befreien. Ein bisschen Schmackes im Arm braucht auch das, zumindest bei größeren Stücken - und auch etwas Gefühl, denn ich will den Trägerstoff nicht verletzen. Das nämlich bedeutet stopfen. ;)
Preisfrage: Ungefähr zwei Euro.
Kommen wir zum Thema Waschen - eng verknüpft mit der Bürste.

Viele Felle kommen mit einem großen "Nope - nicht waschen" auf dem Etikett mit den Waschhinweisen. Das hat einen simplen Grund: Das Fell ist dann sehr oft eines, das beim Waschen filzt, eingeht oder sogar lockig wird.
Nahezu alle Kunstfelle bekommen dezente oder weniger dezente Locken, wenn sie im Trockner landen, und oft auch schon bei mehr als 30 Grad in der Waschmaschine. Vorbeugen kann man dem mit Handwäsche, aber wie oft will man das tun?
Eine Möglichkeit ist, dann eben nur das Schonprogramm bei 30 Grad oder "kalt" zu wählen. Hat man die Option nicht (weil Instekten wie Motten drin sind, weil der Schmutz bei 30 Grad mir einen Vogel zeigt, weil die Waschmaschine das nicht kann), sollte man Vorsicht walten lassen.
Waschen kann auch helfen, wenn das Fell zu sehr glänzt - reichlich Weichspüler und ein bisschen zu heiß beschädigen die Fasern. (Deswegen auch die Löckchen.)


Der Unterschied ist hier nicht so massiv deutlich, aber doch zu sehen. Der Streifen in der linken unten Hälfte ist noch "frisch gewaschen" - in diesem Falle durch eine heißere Handwäsche gegangen. Der andere - rechte obere also - hat eine schnelle Runde mit einer einfachen Haarbürste hinter sich. Mit der Hundebürste wird das Ergebnis noch feiner.
Das heißt: Verfilzte Felle kann man oft noch mit der Bürste retten. Es braucht etwas Geduld und das Fell wird wahrscheinlich nicht neuwertig aussehen danach. Aber zumindest lässt sich der schlimmste Filz gut auflösen und oft bekommt das Fell seinen ursprünglichen Flauschfaktor zurück.
Zum Schluss noch ein paar Hinweise zum Nähen:
Aus leidvoller Erfahrung kann ich sagen, dass Kunstfelle elastisch sind und daher beim Aufnähen lustige Effekte erzeugen - oft verdreht sich der Trägerstoff mit dem Fell. Dem lässt sich durch Stecken oder Clipsen vorbeugen.
Da komme ich nicht umhin, Werbung zu machen: Wonderclips sind hier eine tolle Alternative und insbesondere auch Ergänzung zu Stecknadeln.

Beim Feststecken an einem anderen Stoff wie zB. Satin oder Samt gibt nicht das Kunstfell den Zug vor. Dadurch, dass der Trägerstoff gewirkt ist, zieht er sich nämlich wie Kaugummi, schnippst nur leider bei passender Gelegenheit auch wieder zurück. Das bedeutet, dass es möglichst ohne jeden Zug verarbeitet werden muss. Am einfachsten für mich ist es, die Teile locker aufeinander zu legen und so glattzustreichen. Erst dann kommen die Nadeln rein - durchaus auch senkrecht bis auf die Tischplatte durchgestochen und erst dann zur Seite geschoben.

Für die Ränder, die ohnehin umgenäht werden, ist das unkomplizierter. Wer sich die Mühe machen will, kann die Ränder zaddeln. Insbesondere aber bei Säumen, die keinerlei Berührung befürchten müssen, also z.B. innen liegen, kann dieser Schritt großzügig übersprungen werden.

Besonders in etwas dichterem Fell wie dem oben gezeigten Eisbär-Fell verliert man sehr leicht seine Stecknadeln aus den Augen. Deswegen habe ich ein paar Tipps zum Nadeln wiederfinden für euch.
Es lohnt sich, besonders bunte und auffällige Nadeln zu verwenden, oder diese sogar abzuzählen. Bei dem oben erwähnten Mantel habe ich bei der Endkontrolle fünf Nadeln gefunden, die ich trotz mehrfachen Überprüfens im Fell verloren hatte. Geholfen beim Wiederfinden hat mir folgende Methode:
Ich habe sowohl Wonderclips als auch Stecknadeln benutzt - zuerst mit den Clips den Rand umgelegt und fixiert, dann erst das Fell festgesteckt, dann allerdings mit Nadeln. Je eine Nadel zwischen zwei Clips garantiert, dass man keine vergessen kann.
Auch ein starker Magnet kann bei der Endkontrolle gute Dienste leisten. Dafür aber genügt meistens kein kleiner Kühlschrankmagnet, es sollte schon einer von der brutalen Sorte sein.

Fell auf Fell hat oder Fell auf dem Transport der Maschine hat ganz andere Herausforderungen parat. Langfell verfängt sich gern im Transport, hier hilft Papier, das einfach mit angenäht wird und so den Transport schützt. Genauso muss man auf eine scharfe Nadel in der Maschine achten, sonst landet das Fell nicht nur im Transport, sondern auch in der Unterfadenmechanik. Kurze Felle bieten diese Probleme weniger oft. Fell auf Fell hingegen bietet Herausforderungen dadurch, dass man dafür sorgen muss, dass der ganze Wust unter das Nähfüßchen passt (das sich oft auch verstellen lässt) und dass die Fellfasern möglichst nirgends rausquellen. Hat man das geschafft, freundet sich die Nähmaschine meistens problemlos mit dem Trägerstoff an.

Bleibt Fell am Nähmaschinenfüßchen hängen oder verwickelt sich dort, gibt es mehrere Strategien, das zu umgehen.
Anderenorts wird empfohlen, auch hier Papier aufzulegen oder das Fell mit Haarspray oder Haarwachs zurechtzumatschen. Auch Wasser steht manchmal mit auf der Liste. Da Nähmaschinen aber elektrische Geräte sind, und das Fell tendenziell nicht oft gewaschen werden soll, sind die Stylingideen eher schwierig. Auch das Papier kann ein großer Aufwand sein.
Der normale Nähfuß hat zwei Spitzen vorn, die Schlaufen quasi einladen, sich dort aufzuhängen. Bürste ich vorher eine Schneise ins Fell, kann ich das zumindest vermeiden. Fell wie das Eisbärfell oben lässt das allerdings nicht zu - insofern auch nicht der beste Tipp.Deswegen hier noch ein paar andere Tricks:
Reißverschlussfüßchen können hier hilfreich sein, auch wenn sie den Zickzackstich nicht zulassen. Dadurch, dass man sie links oder rechts orientieren kann, sie außerdem keine "Kufen" haben, bleibt nur ein Teil, das Schlaufen aufsammeln kann und das sich außerdem leichter befreien lässt.
Mein persönlicher Lieblingstrick aber derzeit: Rückwärts nähen. Das klingt völlig absurd und albern, aber da die Füßen hinten zumeist eine glatte, abgerundete Kante haben, gibt es nichts, woran man hängen bleiben kann. Funktioniert logischerweise nur mit einer Maschine, die das verkraftet und an der das so lange wie nötig sinnvoll machbar ist.

So weit, so gut - hoffentlich kann ich euch bald den Hermelintrick zeigen. Bis dahin:

Hab ich was vergessen?
Einfach kurz in den Kommentaren Bescheid geben ;)

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