Montag, 2. September 2013

"Setz dich nicht auf meinen Schwanz!"

- O-Ton vom Gangrel-Thing in Regensburg, 2013

Dies hier ist eine allgemeine Kritik. Ich werde keine Namen nennen, aber ich denke, wer diesen Text aufmerksam liest, wird sich oder andere unter Umständen wiederfinden.

Das Resümee dieses Events ist leider nicht halb so schön oder humorig wie dieses Zitat. Auch wenn gegenüber den Gastgebern aktuell nur freundliche Worte gefunden werden, sehe ich das Geschehene sehr kritisch. Dass wir uns nicht falsch verstehen - ich habe großen Respekt vor den Organisatoren solcher Events. Das Ergebnis war eher dank des Spielverhaltens suboptimal.
Wer auch immer von den Beteiligten das hier liest: Es handelt sich um meine private, eigene und überaus subjektive Meinung. Vielleicht ist sie vom Stress der letzten Tage gezeichnet, in jedem Fall aber stellt sie meinen Eindruck dar. Und - soviel darf man auch schon vor dem Trennstrich verraten - diese Meinung ist nicht besonders positiv.


Ich bin gern Spieler, das kann man vermutlich schon aus den Artikeln in diesem Blog lesen. Manchmal gibt es aber auch Punkte, in denen man nur neben der Szenerie steht und sich fragt: Wann habe ich das Spieluniversum verlassen und bin in das andere, unbekannte hineingerutscht? Aber zu diesen Dingen auch gleich mehr.

Was ein Gangrel-Thing ist, habe ich ja schon hier erklärt:
Klauen bauen - Vorbereitungen für's Thing

Und letzten Endes hat auch es dieses Wochenende dann stattgefunden, bei eigentlich recht gutem Wetter. Rund 25 Personen sind zusammen gekommen und haben miteinander gespielt. So weit, so gut. Ich habe ein paar nette Leute wiedergetroffen, unter anderem aus Berlin. Wir kennen uns inzwischen trotz der Entfernung sehr gut und so ergab sich eines der wenigen positiven Spiel-Erlebnisse.

Aber von Beginn an:
Gangrel sind wie viele andere Figuren des Universums Vampire. Sie sind urtümlich und zum Teil recht traditionell. Ihr Makel - dass sie mit jedem Ausraster etwas tierischer werden - ist optisch deutlich sichtbar und wenig subtil, aber eine schönes Mittel, um die Natur des Charakters darzustellen.


Regelgewürge

Das Problem ist, dass sich viele Spieler nicht damit auseinandersetzen. Für sie besteht ein solcher Charakter nur aus Klauen (die machen im Spieluniversum "schweren" Schaden, sind also im Kampf ein enormer Vorteil) und Seelenstärke. Seelenstärke ist eine Fähigkeit, die es dem Charakter möglich macht genau diesen "schweren" Schaden gut und "normalen" Schaden, also einfache Schläge, mit einem Achselzucken wegzustecken. Nicht zu vergessen, dass die oben genannte, optische Entwicklung als temporär eingeordnet werden kann, so dass der Charakter nicht einmal Schminke oder dergleichen braucht.
Gut, der Charakter war mal ein Mensch, er hat bestimmt auch seine Schaffung entsprechend erlebt und das ganze andere Blabla, aber es ist doch viel schöner, ohne viel Aufwand der große Kämpferobermotz zu sein anstatt in der Vergangenheit zu schwelgen und sich im Spiel Profile mit Schwächen zu geben.

Wo ich nur sagen kann: Halt.
Denn genau das war es, was mir zum Thing absolut die Laune verdorben hat. Ein Charakter besteht aus mehr. Denn auch Gangrel sind manchmal keine reinen Kämpfer. Sie müssen sich beweisen, ja. Allerdings sind sie ab da auf ihrem Lebensweg nicht mehr zwingend auf den Kampf angewiesen. Sie haben jeweils ihre eigenen Erfahrungen, Ansichten und Ziele.


Rudelkämpfe

Das beginnt bei der Rudelbildung. Kommen Gangrel zusammen, legen sie beinahe unwillkürlich eine Rangfolge fest, die der eines Wolfsrudels durchaus ähnlich sein kann. Die Folge ist eine dynamische Struktur, sie ergibt sich aus (gefühlter) Überlegenheit. Dadurch gibt es einen Alpha genauso wie einen Omega. Der Alpha ist der Anführer, der Omega das Schlusslicht, das Küken des Rudels.
Eine Möglichkeit, solch eine Rangfolge festzulegen, ist, sie auszukämpfen. Aber auch unter Wölfen gibt es das Phänomen, dass ein Rudelmitglied ohne Kampf seinen Platz erhält. Respekt besteht nicht allein aus körperlicher Überlegenheit. Zudem verschieben sich durch Neubewertungen die Rangfolgen ebenfalls noch einmal untereinander.
Unter Gangrel läuft diese Verteilung so ab, dass nacheinander vorgetreten und ggf. widersprochen werden darf. Daraufhin wird diese Differenz geklärt und damit die Rangfolge neu bewertet. Danach ist die Streiterei beigelegt, außer man fühlt sich nicht in im richtigen Rang. Normalerweise sollte diese Erkenntnis recht schnell eintreten - die tierische Natur eines jeden Charakters und auch teilweise der Verstand selbst dürften begreifen, dass weiteres Aufbegehren "auf's Maul" und damit eventuell mehr tierische Merkmale oder sogar Tod bedeuten.
Nicht zuletzt ist ein Rudel ein Zusammenschluss, der gemeinsam agiert. Hierfür muss klar sein, wer wem folgt.

Ganz im Gegensatz zur Realität im Spiel.
Als erstes wurden Nummern vergeben. Es ist eine absolute Unsitte, dass viele Personen sich eine Nummer oder eine Menge geben müssen, um einen Wert zu verstehen. Es mag mathematisch und objektiv einfacher zu erfassen sein, wenn man die Nummer 1 oder die Nummer 13 ist. Es entspricht aber nicht der Systematik einer Rangfolge.
So wurde also als Erstes um Nummern gekämpft, die in der Folge weder von Interesse noch wirklich Teil des Spielgeschehens wurden. Aus dem Verhalten ließ sich eine ungefähre Rangfolge ablesen - hätte man sie mit der Kampfreihenfolge abgeglichen, wäre man auf Unterschiede gestoßen.

Die Kämpfe sahen zu einem Gutteil gar nicht einmal schlecht aus. Aber es blieben Kämpfe, die in letzter Instanz nichts weiter als ein Abbild der vergebenen Punkte oder des Könnens des jeweiligen Spielers waren. (Eine Ausnahme bilden hier diejenigen, die mutig so etwas wie Charakterspiel einbrachten.)

Im weiteren Verlauf mischte sich ein Charakter ständig ein. Egal, wer vortrat, um sich seinen Rang anzugeben, er wollte mit ihm kämpfen. Und dank eines Profils, dass im Prinzip nur aus Klauen und Seelenstärke besteht, konnte er auch siegen.
Da man die Regelung einer Erschöpfung gestrichen hatte, konnte er dieses fortführen. Im Originalregelwerk war festgelegt, dass es einfacher wurde, den betreffenden Charakter zu besiegen, umso mehr Kämpfe er bestritten hatte. Schlussendlich wurde es beinahe zum Running Gag, dass er stets hineinpreschte und widersprach.
Nicht zuletzt braucht es eigentlich das vampirische Bluttrinken, um die Wunden zu heilen. Aber nein, warum auch?

Da es zunächst nur um Punktestärken ging, wurden diejenigen angefeindet, die sich in ihren Taten verglichen. Mein Charakter beispielsweise traf die klare Aussage, dass sie nicht körperlich um ihren Rang kämpfen wird. Stattdessen warf sie ihre Taten in den Ring, die nach dem Hintergrund der Gangrel ein gutes Argument gewesen wären: Sie schützt und begleitet die Zigeuner. Sie ist keine Kämpferin - sie hat andere Qualitäten.


Alternative Kämpfe

Dafür muss man wissen, dass die Zigeuner Teil des Gangrel-Hintergrundes sind. Die absolute Wurzel dieser Geschichte ist nicht gern gesehen, weil sie einen enormen Wissensschatz voraussetzt. Allerdings ist es Tradition, die Sinti und Roma innerhalb der Spielwelt zu schützen und vor Unheil zu bewahren. Dieser eher traditionelle Hintergrund ist allerdings einer der bekannten Teile. Üblicherweise wird diese Tradition als eine passive behandelt, man schadet den menschlichen Wanderern einfach nicht. Allerdings kann man sie ebenso leicht in eine aktive verwandeln.

Nachdem wir also beinahe einen ganzen Abend damit zugebracht hatten, eine Nummer zu bekommen, waren eine andere Spielerin und ich uns einig, dass wir uns als gleichrangig ansehen. Wir waren zwei der wenigen, die die Sache verbal klärten. Eine weitere Spielerin wurden von uns geblockt und ergab sich. Übertragen auf ein Kampfgeschehen hatte sie somit verloren.

Überaus faszinierend:
Genau jene Art sich zu einigen wurde in der Folge angefeindet. Sogar von obersten Stelle - die Älteste, verkörpert von einer Spielleitung, mischte sich ein und befahl, man könne keine gleichen Ränge besitzen. Da es uns beiden egal war, blieben wir spielerisch dabei und eine von uns ließ sich zahlenmäßig zum Omega degradieren. Sofort wurde sie als Opfer bezeichnet, was innerhalb eines Rudels eigentlich ein No-Go ist.

Ich gebe zu, ich war etwas fassungslos - und enttäuscht über das Geschehen. Es hatte sehr atmosphärisch angefangen: Fackeln und Laternen auf der Wiese, teils urige Gestalten im Halbdunkel. Innerhalb von ungefähr eine halben Stunde kippte der Eindruck vollständig und verdüsterte sich zu einem allgemeinen "Was bitte?"

Das aber war nur die ersten Stufen zum allgemeinen "Wo ist das Setting hin?"


Geschichten - oder was davon übrigblieb

Die am nächsten Tag gespielte Jagd war an sich ein gutes, wenn auch anstrengendes Erlebnis. Dass sie bei Tag stattfand, lag der Sicherheit der Beteiligten zugrunde. Mitten im Wald von einem Dutzend Leute durch die Gegend gehetzt zu werden stellte sich schon bei Tag als Herausforderung für alle Beteiligten heraus. Es gab durchaus einiges an Schrammen, den Muskelkater genieße ich heute noch ein bisschen und der Schlamm wird wohl manchen noch ein wenig treu bleiben.
Auch hier meinte unser aller, auf Kampf gebürsteter Liebling, dass ein wenig Einmischung und Unruhe gut ist. Denn die Jagd ist ein gemeinschaftliches Ritual, eigentlich genau der schlechteste Ort, um Streit anzufangen. Ihn kümmerte das allerdings nicht. Der Gejagte stand quasi daneben, als sich unser Kampfmonster im Rang angegriffen fühlte und durch seinen Racheversuch beinahe die gesamte Jagd unterbrach.

Wie es der Planung entsprach, sollte der Jagd der Geschichtenabend folgen. Er begann mit einem großen Kreis in einem der Säle und endete mit Winzig-Gruppen, Gegenwartsgeschichten und Politikdiskussionen.
Unterbrochen von dem Krachscheit des ersten Abends. Denn dieser hatte sich nicht nur aufgeregt, dass wir den Saal wegen des Teppichs nur ohne Schuhe zu betreten hatten. Er hatte sich einen weiteren Rangkampf vorgenommen, den er dann auch prompt im Flur durchzog. Dazu muss man wissen, dass es sich nicht um ein Privathaus handelte, sondern um eine Art Jugendherberge. Schäden an den Wänden sind also durchaus ein Problem.
Anscheinend war also Motto des Abends, dass man weiter zu kämpfen hatte.

Nicht allein, dass das Geschichtenerzählen eine der Spielvarianten ist, die ebenfalls einen Wettbewerb bedeuten. Wer einmal zwei Barden oder Erzähler beobachtet hat, wenn sie sich duellieren, weiß, wie faszinierend das sein kann. Sie übertrumpfen sich gegenseitig, bauschen die Geschichten auf und malen farbigsten Welten, bei denen einem der Mund offen stehen bleibt. Es ist eine Prüfung, so etwas zu tun, denn das Erzählen in einem Kreis von Leuten, die vielleicht noch farbigere Geschichten zu erzählen haben, ist ein wenig wie Pokern in einer mündlichen Prüfung. Nur, dass es mehr Spaß macht.

Dazu kommt noch, dass die Gangrel weiterhin traditionell sind (wie oben erwähnt) und zusätzlich vom Hintergrund eine lange Tradition mündlicher Überlieferung haben. Sie erzählen sich Geschichten, um die Vergangenheit (insbesondere die weiter zurückliegende) wach zu halten.
Truckergeschichten (so schön wie sie auch waren), die politische Entwicklung der letzten zehn Jahre (durchaus auch interessant - aber für wen?) und Briefe, die den Status eines Berliner Prinzen betreffen, zählen in meinen Augen nicht dazu.

Die Ahnin blieb wie auch in den vorhergegangenen Szenen farblos. Sicherlich ist es schwer, einen so alten Charakter darzustellen, und doch hatte ich nicht im Ansatz das Gefühl, einem alten, zu respektierenden und erfahrenen Tier gegenüberzustehen. Dort stand ein zivilisierter Mensch, in Sprache und Haltung. Ich machte mir Hoffnung, dass würde sich eventuell bei den Geschichten ändern, aber das war ein Irrtum.

Da auch diese Art Wettbewerb im Vorfeld angesprochen wurde,  hatte ich mich vorbereitet. Bepackt mit rund einem halben Dutzend Legenden, umgemünzt auf das Vampire-Universum und mit Platz, um spontane Einwürfe zu verarbeiten, setzte ich mich dazu und wartete auf den Moment, da das Politik-Diskutieren verebben würde. Und wartete. Und wartete. Kein Ende in Sicht. Stattdessen wanderten rund zwei Drittel der Leute im Saal ab und verschwanden. Was ich ihnen irgendwie zum Teil nicht übelnehmen kann.

Sie verschwanden:
Um ihr Vorgehen in den nächsten Tagen und Wochen zu besprechen. Da innerhalb einer größeren Kampagne, auch bezeichnet als Chronik, gespielt wird, haben die Charaktere häufig Grund, sich über ihr weiteres Verhalten auseinanderzusetzen. Dies wird auf den Abenden gern und oft separat und fernab des eigentlichen Spielgeschehens getan, damit man nicht belauscht werden kann. Auf einem Abend macht das Separieren Sinn, immerhin kann "der Feind" oder Konkurrent mithören. Warum man das nicht in der Nähe des Rudels besprechen kann, bleibt mir ein Rätsel.
Um zu rauchen. Im Gebäude herrschte Rauchverbot, so dass man sich für eine "Kippe" nach draußen zu begeben hatte.
Um dort zusammenzusitzen und außerhalb des Spiels Unterhaltungen zu führen. Wir hatten alle Zimmer zugeordnet, ein paar leerstehende waren bekannt. Warum man diese nicht aufsuchen kann, blieb mir ebenfalls verborgen.
Um zu schlafen. Nun gut, fertig waren wir alle ein Stück weit, also keine Kritik daran.


Und das war's

Denn das wenige, was spieltechnisch wirklich gut war, ist verschwindend gering.
Wer die Beschreibung der alten, realgeschichtlichen Things und die der Gangrel kennt, weiß auch, dass allein diese drei Punkte (Rang, Jagd, Erzählen) nicht alles sind. Hier wird getanzt, gesungen und gefeiert. Ich habe durchaus einen Spieler gesehen und gehört und bin ihm sehr dankbar dafür. Der Rest hüllte sich diesbezüglich in Schweigen.

An eine Szene erinnere ich mich jedoch gern:
Als wir im Saal zusammensaßen, stupste mich ein Charakter an, der dazu neigt, ein wenig wie eine Katze zu agieren. Mein Charakter trug federngeschmückte Strähnen mit Glöckchen im Haar, dazu noch einen Flickenrock, an dessen Enden ebenfalls Klimperkram angebracht ist. So trafen sie aufeinander - das klimpernde, fisselige Etwas und die Katze.
Wir neckten uns - ich zupfte mein Gegenüber am Fell, während es um mich herumstreifte, hier und da schubste, tatzelte und stupste. Dass uns dafür böse Blicke streiften, braucht man vermutlich nicht zu erwähnen.
Wir haben uns weder real noch im Spiel wehgetan, nur etwas geneckt, um dann nebeneinander zu dösen. Ob da zwei Freunde oder Beute und Jäger nebeneinander saßen - ich weiß es nicht.


Fazit

Alles in allem:
Eine Enttäuschung, für die ich zwei Wochen gearbeitet und mir Mühe gemacht habe.

Bis auf die "üblichen Verdächtigen" und ein paar seltene Ausnahmen war nichts dabei, was mich in irgendeiner Weise begeistert hätte. Ich habe selten Abende vorzeitig (also vor dem eigentlichen Ende) verlassen, doch bei diesen zwei drohte mir nach kurzer Zeit das Einschlafen.

Für jene, die sich jetzt fragen, warum ich das geschrieben habe: Vielleicht liest es ja der eine oder andere. Und macht sich Gedanken darüber, dass es vielleicht noch mehr zum Spielen gibt.
Als Klauen und Seelenstärke.

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