Donnerstag, 31. Juli 2014

Enttäuschungen

Heute mal etwas ernsthafteres ohne Stoff.
Und zwar soll es um Enttäuschungen gehen, die im Liverollenspiel auftauchen. Ein Erfahrungsbericht von SL- und Spielerseite gleichermaßen.

Als ich zu spielen begann, hatte ich den festen Glauben, ALLES sei möglich. Wirklich alles. Der erste Con heilte mich von dieser Überlegung zumindest insofern, dass ich feststellte, wie anstrengend das Dasein als NSC sein kann. Und wie sehr eine SL-Ansage ("Nein, ihr dürft nicht in die Stadt.") demotivieren kann. Nein, wir durften tatsächlich nicht in die Stadt. Nicht nur, weil dort Orks und ähnliches Gesocks verboten sein sollte, sondern auch, weil wir auf den nächsten Einsatz zu warten hatten. Sagen wir es so: In der Wartezeit haben manche in unserem Lager Drei-Gänge-Menüs gekocht. Sie wussten es schlicht und ergreifend besser, als dass sie auf ihrem Heublock sitzen blieben und warteten.
Diese und andere kleine Enttäuschungen wurden zum steten Begleiter. Gewisse Rollen sind im Grunde nicht darstellbar, genauso wie die Spielleitung in manchen Fällen den NSC ihre Freiheit beschneidet, obwohl es einen positiven Effekt auf den Plot haben könnte. Aus Sicht einer SL kann ich allerdings sagen: Oft haben sie ihre Gründe, auch wenn sie seltener Recht haben. Der Grund dafür sind die unberechenbaren Mechaniken, nach denen Spieler Plots aufnehmen oder völlig ignorieren. In manchen Momenten glaubt man etwas enorm harmloses ins Spiel gebracht zu haben und steht kurz darauf einem ganzen Lager gegenüber, das - dem Plotbuch nach - eigentlich ganz, ganz, ganz woanders beschäftigt sein sollte.
Das wiederum aber sind Überraschungen (positiv wie negativ) - seltener Enttäuschung.


Anlass für diesen Artikel sind aber die bisher herbste Enttäuschung, die ich in meinem Spielerleben wahrgenommen habe, verbunden mit mehreren, die als SL aufkamen.


Vor ungefähr zwei, fast drei Jahren hat man einen meiner Charaktere auf unschöne Art aus dem Spiel einer Kampagne entfernt: Er wurde gestrichen. Gestrichen bedeutet hier, dass der Charakter weder einen Tod noch einen sinnvollen Verbleib hatte. Tatsächlich verschwand er einfach, wie eine Figur in einem Roman, die unbemerkt von einem Schwarzen Loch aka Autorenvergesslichkeit oder "Plothole" verschluckt wird. Der Charakter wurde etwas mehr als drei Jahre bespielt und hatte - da ich seine Geschichte aufschreiben wollte - einen Hefter. Einen von den Großen, die man so gerne Leitz nennt. Voll.
Ich habe Arbeit, Zeit, Nerven, Überlegung und eine Menge Worte in diesen Charakter gesteckt - all das ist mit ihm in diesem Schwarzen Loch verschwunden. Man hat mir mehrere Jahre lang Hoffnungen gemacht, dass diese Geschichte ein Ende oder eine Fortsetzung findet. Das ist nicht der Fall.
Der Charakter ist nun...  Naja, nicht tot, jedenfalls.

Ich habe die Erinnerungsstücke, Requisiten und Akten, die noch davon existierten, inzwischen verkauft. Die Arbeit, die ich für die Chronik eingesetzt habe, kann ich nicht zurücknehmen, ohne ein ganzes Hintergrundprojekt zu vernichten, also wird sie bestehen bleiben.
Es war der beste Weg, damit abzuschließen und schmerzhaft zu realisieren, dass die Arbeit von fünf, fast sechs Jahren keinerlei Bedeutung mehr hat. Dass sie niemals ein befriedigendes Ende finden wird, weder in einer ausführlichen und dramatischen Geschichte, noch in einem Charaktertod.
Enttäuschung.
Und der Entschluss, sich nicht wieder für einen Charakter in dieser Form zu begeistern.


Ich werde hier nicht darüber urteilen oder philosophieren, was die Spielleitung hätte anders machen sollen, können oder sonst irgendetwas. Was ich allerdings dazu sagen kann, ist: Das ist es, was Spieler dazu bringt, oberflächlich, nachlässig und ohne Tiefe zu spielen. Mit der Gefahr, den Charakter unangekündigt und unmotiviert zu verlieren, macht jegliches Engagement keinen Sinn mehr.

Auch die andere Seite habe ich kennen gelernt.
Ich bin inzwischen als SL mehreren Spielern begegnet, die sich weigerten, ein Stück Vertrauen in die SL zu investieren. Das Vertrauen, das ich zuviel investiert habe, fehlt ihnen. Früher einmal habe ich das Thema GewinnenWollen belächelt. Inzwischen weiß ich, es ist sehr real. Immer wieder begegnen einem Spieler, die sich, der Spielleitung und ihren Mitspieler beweisen wollen, dass sie besser sind als alle anderen. Nicht durch Engagement, Schauspiel oder Unterstützung rund um das Spiel - nein, sie versuchen es direkt und linear durch ihre Charaktere. Verluste sind dann Versagen und Enttäuschungen, die sie zu Wutanfällen, Beleidigungen und Intrigen hinreißen. Spieler treten ans Team heran und ignorieren, dass es ein Team ist, das untereinander abgestimmt hat, und nehmen sich einzelne Spielleitungen heraus, in dem Glauben, sie seien die "Bösen".

Natürlich steckt man immer etwas in seinem Charakter. Der "Überzug", der die Rolle ausmacht, schützt uns nicht davor - ganz gleich, ob erfahren oder nicht, ob Spielleitung oder nicht - enttäuscht über das Versagen des Charakters zu sein. Dennoch machen viele den Schritt nicht weiter und sehen dann auch nicht die Geschichte, die sich daraus entwickelt. Sie behandeln das Geschehen oberflächlich und sind enttäuscht, wenn sie nicht mehr als die Oberfläche sehen.


Und ich glaube, das ist es, was mich am meisten an der Streichung enttäuscht. Eine Geschichte ist verschwunden - wie ein Faden, den man aus dem Gewebe gerissen hat. Und dass es keiner merkt, ist noch um einiges enttäuschender. Ich glaube, Fehler gemacht zu haben im Verständnis - aber ich habe mir die Mühe gemacht, nachzufragen und keine umfassende Antwort darauf erhalten.

Warum ich trotzdem weiterspiele?
Warum ich trotzdem leite, auch wenn es graue Haare verursacht?

In gewisser Weise erlaubt einem die Erfahrung, als SL angefeindet zu werden, insbesondere eines:
Enttäuschungen kommen vor. Sie können von beiden Seiten vermieden werden, wenn beide Seiten umfassend kommunizieren. Tun das beide Seite nicht - wird die Enttäuschung mit Sicherheit irgendwann so groß, dass eine Seite aufgibt.


Wir spielen miteinander, heißt es. Wir sollten vielleicht endlich damit anfangen.

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